Kaffee-Sensorik

Dr. Steffen Schwarz betreibt eines der größten Forschungs- und Trainingszentren für Kaffee. Er ist ein leidenschaftlicher Kaffeeliebhaber, dessen Kolumne wir Ihnen gerne zur Inspiration empfehlen.

Sensorik ist ein weit unterschätztes und grob vernachlässigtes Thema im Kaffeegeschäft. Das hat mehrere Gründe. Zum einen erscheint das Thema beliebig bewertbar oder beschreibbar zu sein, treu dem Motto „über Geschmack lässt sich streiten“ oder „Geschmäcker sind verschieden“. So glaubt jeder Selbstberufene ohne Sinn und Verstand hier an Diskussionen teilnehmen zu können und zu dürfen.

Dann gibt es die andere Seite: Diejenigen, die immer von sich behaupten „sensorisch nicht mitreden zu können“ oder ihren Geschmack nicht ausdrücken zu können und sich daher komplett aus der Thematik ausklinken. Hier finden sich meist die echten Sensoriker!

Damit gehört die Bühne den sich überschätzenden, dominanten und auf Selbstdarstellung erpichten Dummschwätzern, die in der Folge eine sensorische Schneise der Verwüstung hinter sich zurücklassen - denn jeder normal veranlagte Mensch wundert sich über deren Aussagen und Ergebnisse - und stellt still und leise bei sich fest, dass ihm das so gar nicht schmeckt und er das so auch nicht ausgedrückt hätte. Oder aber schlimmer noch - er fühlt sich darin bestätigt, sensorisch vollkommen unbegabt zu sein.

Spannend, oder? Haben Sie sich schon selbst erkannt und einer Gruppe zugeordnet?

Jeder kann schmecken: Angeborene Sensorikmuster

Dabei ist es ganz einfach. Sensorik ist uns allen gegeben! Schon genetisch ist die Lebensmittelsensorik für uns hinterlegt, um unsere Ernährungsrisiken als Allesfresser einzuschränken, um Vergiftungen und Verzehr von Verdorbenem zu vermeiden. Wieder also einmal eine Selbstüberschätzung von Einzelpersonen und der hartnäckige Glaube an vermeintlich erlernten individuellen Fähigkeiten, die gegenüber Jahrmillionen erprobten und vererbten Geschmacksmustern geradezu lächerlich anmuten dürfen, da die angeborenen Sensorikmuster der Ernährung nicht weniger als dem Erhalt unser gesamten Art dienen.

 

Reden wir über Geschmack

Dennoch muss die Vermittlung und Verbalisierung von Sensorik erlernt werden. In Italien geschieht dies zeitlebens durch den stetigen und ständigen Austausch über den Geschmack von Speisen und Getränken. Tatsächlich ist das Reden über den Geschmack bereits einer der wesentlichsten Faktoren. Nur so können Abgleichungen und Kalibrierungen stattfinden.

Um reproduzierbar sensorisch Kaffee oder Lebensmittel generell bewerten zu können ist daher eine Grundschulung sehr hilfreich, in der die verschiedenen sensorischen Wahrnehmungen voneinander getrennt und eindeutig unterschieden werden. Denn unsere Gesamtgeschmackswahrnehmung (Flavour) besteht aus drei verschiedenen Sinneswahrnehmungen: Der Gustatorik (dem Geschmackssinn), der Olfaktorik (dem Geruchssinn) und der Haptik (dem Tastsinn) - hier im Sinne des Mundgefühls.

 

Geschmack, Geruch und Mundgefühl

Ich möchte dies an ein paar kleinen Beispielen darstellen:

Haptik wird generell unterschätzt und ist dabei doch so wichtig. Nehmen Sie einmal Spaghetti mit einer Kochzeit von 5 Minuten an, die Sie einmal genau 5 Minuten kochen und somit wunderbare Spaghetti „al dente“ erhalten. Nach 10 Minuten Kochzeit (ein streng gehütetes, geheimes Kochrezept von Kantinen!) werden die Spaghetti dann „al Kukidente“ und mit einem Strohhalm einsaugbar, breiartig servierfertig. Während der Nährwert gleich ist, ist der Genusswert dramatisch gesunken. Gleiches gilt für die frische Kruste eines Brotes, cremigen Cappuccino oder die samtige Crema eines Espresso. Alles Haptik.

Die Gustatorik betrifft die Wahrnehmungen „süß“, „salzig“, „sauer“, „bitter“ und „umami“. Daneben auch „alkalisch“/„metallisch“. Starke Einflüsse im Bereich des Kaffees hat hier daher das Wasser, dem durch die Ionisierung und die vorhandenen Mineralien ein hohes Potential für die Bildung von Salzen, Säuren und Bitterstoffen zukommt.

Die Olfaktorik umfasst alle Aromen, die wiederum in 11 Hauptgruppen eingeteilt werden können. Fruchtig, Floral, Kräuter, Grüntöne, Gewürze, Hölzer und Röstaromen sind nur ein paar Beispiele der Gruppen, die teilweise in Untergruppen unterschieden werden können.

Wir vermitteln in ein- bis dreitägigen Workshops die gesamte Sensorik, von den Grundlagen über die Durchführung von Cuptastings bis zur Identifizierung und Benennung von Aromen. Bis jetzt konnten wir tatsächlich jedem Teilnehmer seine sensorischen Fähigkeiten beweisen und systematisch zugänglich machen. Gerne auch Ihnen!

Dr. Steffen Schwarz

www.coffee-consulate.com